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Autor: Marcus Lödige (Head of Research #FORTSCHRITT)
- 14.12.2022 -

Die Persönlichkeit ist fast so wichtig wie die Intelligenz, wenn es um unsere Fähigkeit geht, Arbeitsaufgaben effizient zu erledigen. Dabei spielt die Persönlichkeit insbesondere für Führungskräfte eine noch größere Rolle als bei vielen anderen Funktionen. In der Persönlichkeitsforschung haben sich in den letzten Jahren fünf Grunddimensionen herausgebildet, die insgesamt ein gutes Bild unserer Persönlichkeit ergeben.

Diese Dimensionen werden im Fünf-Faktoren-Modell („Big-Five"-Modell) abgebildet. Die Erfassung der individuellen Persönlichkeit kann dazu beitragen, Vorhersagen über menschliches Erleben und Verhalten sowie deren Ursachen zu verbessern. In Kombination mit weiteren sozialwissenschaftlichen Variablen konnte gezeigt werden, dass die Persönlichkeitsdimension Offenheit zum Beispiel die Vorhersage von Interessen – seien es politische, Freizeit- oder medienspezifische – verbessert. Personen mit einem hohen Maß an Extraversion neigen eher zu aktivem Freizeitverhalten und engagieren sich eher politisch und sozial während sich emotionale Stabilität als guter Prädiktor für Gesundheit – insbesondere für die seelische Gesundheit – erweist (Rammstedt, 2007).

Doch wie ist es um die Vorhersage im beruflichen Kontext bestellt? Welche Persönlichkeitsmerkmale zeichnen eine Führungskraft aus? Und welchen Einfluss hat die individuelle Persönlichkeit auf die Arbeit im Homeoffice?

Um diese Fragen beantworten zu können, wird in der nachstehenden Abbildung zunächst das „Big-Five“-Modell mit seinen Merkmalsausprägungen vorgestellt. Die Merkmale über dem Strich beschreiben eine hohe Ausprägung, die darunter eine niedrige.

Das „Big-Five“-Modell der Persönlichkeit

Big Five Persönlichkeitsmodell

Fünf Eigenschaften effektiver Führungskräfte

„Internationale Forschungsstudien zeigen, dass die fähigsten Führungskräfte in allen fünf Dimensionen hohe Werte erreichen." –Zu diesem Schluss kommen die Autoren Martinsen und Glasø (2013), die in ihrer Studie die Persönlichkeitsdimensionen von über 2.900 norwegischen Führungskräften untersucht haben. Führungskräfte zeichnen sich aufgrund ihrer individuellen Persönlichkeit demzufolge durch folgende Fähigkeiten aus:

  1. Die Fähigkeit, arbeitsbedingtem Druck und Stress standzuhalten (Führungskräfte verfügen über ein hohes Maß an emotionaler Stabilität).
  2. Die Fähigkeit, die Initiative zu ergreifen, bestimmt und kommunikativ zu sein (Führungskräfte sind kontaktfreudig und haben ein hohes Maß an Extraversion).
  3. Die Fähigkeit innovativen und visionären Denkens, Neugierde und „Erfindergeist“ (effektive Führungskräfte sind sehr offen für neue Erfahrungen).
  4. Die Fähigkeit, Mitarbeiter zu unterstützen, ihnen entgegenzukommen und sie einzubeziehen (effektive Führungskräfte weisen ein hohes Maß an Verträglichkeit auf).
  5. Die Fähigkeit, sich Ziele zu setzen, gründlich zu sein und diese zu verfolgen (effektive Führungskräfte gehen im Allgemeinen sehr gewissenhaft vor).

Weiterhin konnten in der Studie zentrale Unterschiede festgestellt werden. Die Kernergebnisse werden nachstehend zusammengefasst:

Frauen schneiden besser ab als Männer

Weibliche Führungskräfte erzielen bei vier der fünf gemessenen Persönlichkeitsfaktoren höhere Werte als Männer. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass weibliche Führungskräfte extrovertierter, offener für neue Erfahrungen, verträglicher und gewissenhafter sind. Abgesehen von einer geringeren emotionalen Stabilität ist daher die Frage legitim, inwiefern Frauen in einer Führungsrolle erfolgreicher wären als ihre männlichen Kollegen.

Öffentlicher Sektor liegt vor der Privatwirtschaft

Entgegen der weit verbreiteten Wahrnehmung von Stereotypen weisen Führungskräfte im öffentlichen Sektor ein höheres Maß an Innovation (Offenheit), Unterstützung (Verträglichkeit) sowie Sorgfalt (Gewissenhaftigkeit) auf. Die Analysen zeigen auch, dass das Potenzial für Innovation und systematisch-zielgerichtetes Verhalten in der Führungsrolle positiv mit der Managementebene korreliert. Sprich: Führungskräfte in höheren Positionen zeigen ein innovativeres und fokussierteres Verhalten als Führungskräfte auf einer niedrigeren Ebene.

Persönlichkeit beeinflusst die Ausrichtung der Arbeitsmotivation

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass hohe Werte in den fünf Persönlichkeitsfaktoren mit einer höheren internen Motivation einhergehen. Im Gegenzug konnte festgestellt werden, dass eine geringere emotionale Stabilität, Kontaktfreudigkeit sowie Gewissenhaftigkeit mit der Tendenz zur externen Motivation verbunden sind. Die Ausrichtung der Arbeitsmotivation ist daher ein zentraler Ansatzpunkt, um potenzielle Kandidaten für Führungspositionen zu identifizieren.

Bin ich eine Führungsperson? – Leadership Self-Identity

Persönlichkeit beeinflusst ebenfalls die Identität von Führungskräften. Die sogenannte Leadership Self-Identity gilt als eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Führung und beschreibt, inwieweit sich Führungskräfte mit ihrer Rolle identifizieren und wie wichtig es ihnen ist, von anderen als Führungskraft wahrgenommen zu werden. Untersuchungen zeigen, dass hohe Werte für Offenheit und Extraversion sowie eine geringe Ausprägung für Neurotizismus (bedeutet hohe emotionale Stabilität) die Voraussetzung dafür sind, dass Personen von sich als Führungskräfte überzeugt sind, was das Fundament für eine erfolgreiche Führung bedeutet.

Arbeiten im Homeoffice? – Auch eine Frage der Persönlichkeit!

Warum fällt es manchen Menschen leichter und manchen wiederum schwerer, im Homeoffice zu arbeiten? Das „Big-Five“-Modell kann dabei helfen, verschiedene Persönlichkeitstypen zu unterscheiden, ihre Stärken und Schwächen zu verstehen sowie Hilfestellungen zu geben, die Arbeit im Homeoffice produktiv zu gestalten.

  • Emotional stabile Menschen haben es im Homeoffice leichter. Wenn sie gute Rahmenbedingungen und klare Ziele haben, benötigen sie wenig Aufmerksamkeit der Führungskraft. Sie sind ruhig, ausgeglichen und belastbar und können in der modernen Arbeitswelt auch mit Unsicherheiten und unvorhersehbaren Ereignissen umgehen. Menschen mit hoher Neigung zu Neurotizismus benötigen hingegen einen intensiveren persönlichen Kontakt zur Führungskraft und sind auf klare Regeln und Vereinbarungen angewiesen.
  • Extrovertierte Menschen gelten als aktiv, gesellig und kommunikativ. Sie bevorzugen ein ereignisreiches und stimulierendes Umfeld sowie die Interaktion mit anderen Menschen, was ihnen die Arbeit im Homeoffice nur bedingt bieten kann. Um diese soziale Isolation zu minimieren, sollten Führungskräfte in engem Kontakt zu extrovertierten Mitarbeitenden stehen und den Fokus der Kommunikation – neben beruflich relevanten Themen – auch auf außerberufliche Themen legen. Dies gilt nicht für introvertierte Menschen, die von Natur aus eher reservierter sind und weniger Probleme damit haben, allein zu arbeiten. Führungskräfte müssen hier nur darauf achten, dass sich diese Mitarbeitenden im Homeoffice nicht allzu sehr zurückziehen und den Anschluss an das Team verlieren.
  • Die Offenheit für neue Erfahrungen ist insbesondere in der anfänglichen Eingewöhnungsphase an die Arbeit im Homeoffice interessant. Offene Menschen sind aufgeschlossen, kreativ, experimentierfreudig und wissbegierig und können unkonventionelle Lösungen entwickeln. Die Arbeit im Homeoffice stellt für sie eine willkommene Abwechslung dar und sie finden sich schnell in ihrem neuen Arbeitsumfeld ein. Menschen mit einer geringeren Offenheit stehen Veränderungen skeptisch gegenüber und benötigen daher besondere Unterstützung bei der Anwendung neuer Technologien bzw. neuer Arbeitsprozesse im Homeoffice.
  • Verträglichkeit ist einerseits geprägt von Harmonie, Hilfsbereitschaft, Kooperation und Vertrauen; andererseits von konfliktfreudigem, konkurrierendem, skeptischem sowie unkooperativem Denken und Handeln. Sozial verträglichen Menschen ist es besonders wichtig, dass ein vertrauensvoller und kooperativer persönlicher Austausch mit der Führungskraft besteht. Menschen mit geringerer sozialer Verträglichkeit neigen dazu, sich ablenken zu lassen und nutzen die Distanz vermehrt für Cyberloafing (privates Surfen im Internet). Die Führungskraft ist hier gefordert, Ziele klar zu formulieren und zu überprüfen sowie regelmäßig und deutlich Feedback zu geben.
  • Gewissenhafte Menschen zeichnen sich durch eine ausgeprägte Leistungsorientierung sowie überdurchschnittliche Planungs- und Organisationsfähigkeiten aus. Diese Eigenschaften und Fähigkeiten drücken sich in gutem Selbst- und Zeitmanagement sowie einer hohen Selbstdisziplin aus, wodurch diese Mitarbeitenden gut für die Arbeit im Homeoffice geeignet sind. Im Vergleich zu weniger gewissenhaften Menschen sind sie zudem produktiver und verfügen über eine höhere interne Arbeitsmotivation. Weniger gewissenhafte Menschen hingegen neigen ebenso wie weniger verträgliche Menschen zur Ablenkung von der Arbeit. Führungskräfte müssen diesen Mitarbeitenden daher tendenziell eher mit einer klaren Zielsetzung und Kontrolle begegnen, während gewissenhafte Menschen eher vor ihrem Perfektionismus und dem Hang zur Selbstausbeutung geschützt werden müssen.

Schlussfolgerung für die Führung auf Distanz

Die Betrachtung der verschiedenen Persönlichkeitstypen zeigt, dass Mitarbeitende unterschiedlich gut oder schlecht mit der Arbeit im Homeoffice zurechtkommen. Führungskräfte sollten dafür sensibilisiert werden, dass es kein Patentrezept für die Führung von Remote Work gibt, sondern möglichst individuell auf die einzelnen Teammitglieder eingegangen werden muss. Eine mitarbeiterspezifische Anwendung von Feedback, Kooperation, Unterstützung, Vertrauen, Vorgaben und Zielen kann somit aktiv zu einer produktiveren Arbeit im Homeoffice beitragen.

#FORTSCHRITT-Fazit

Wir beschäftigen uns in unserem täglichen Beratungsalltag intensiv mit Themen rund um die neue Arbeitswelt. In unserer aktuellen Studie (Zukunft der Arbeit - New Work als Heilsbringer?) konnten wir zeigen, dass sich das Rollenverständnis der Führungskraft in der Neuen Arbeitswelt spürbar von alten Vorstellungen unterscheiden wird. Nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Komplexität und Unvorhersehbarkeit ist es daher unerlässlich, den Menschen in den Mittelpunkt unternehmerischen Handelns zu stellen. In diesem Zusammenhang ist es für Führungskräfte ebenfalls zwingend geboten, sich ausgiebig und differenziert mit ihren Mitarbeitenden auseinanderzusetzen und sie entsprechend ihrer individuellen Persönlichkeit einzusetzen, zu fördern und zu unterstützen. In Zeiten des Arbeitskräftemangels und der Suche nach Optimierungspotenzialen kann der ‚richtige‘ Umgang mit Persönlichkeit der Schlüssel zu einer höheren Arbeitgeberattraktivität UND höherer Produktivität sein. Sprechen Sie mich oder unser Team der Organisationsentwicklung um Christoph Neumann gerne an.

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Wenn Sie diesen Beitrag zitieren möchten, nutzen Sie gerne folgende Quellenangabe:

Lödige, M. (2022, 14. Dezember). Persönlichkeit und Führung – Einblicke und Best Practice. FORTSCHRITT GmbHhttps://fortschritt.co/blog-de/294-persoenlichkeit-und-fuehrung

  • Literaturverzeichnis
    • Martinsen, Ø. L. (2014). Personality for Leadership. BI Business Review. https://www.bi.edu/research/business-review/articles/2014/03/personality-for-leadership/
    • Martinsen, Ø. L., & Glasø, L. (2013). Personlighet og ledelse (Personality for leadership). In R. Rønning, W. Brochs- Haukedal, L. Glasø, & S. B. Matthiesen (Eds.). Livet som leder. Lederundersøkelsen 3.0 (Life as a leader. Leader survey 3.0) (pp. 47–72). Fagbokforlaget.
    • Rammstedt, B. (2007). Welche Vorhersagekraft hat die individuelle Persönlichkeit für inhaltliche sozialwissenschaftliche Variablen? (ZUMA-Arbeitsbericht, 2007/01). Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen -ZUMA-. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-200543
    • Simsa, R., & Patak, M. (2021). Leadership & Homeoffice. So gelingt Führung auf Distanz. Linde Verlag.
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Autor

Marcus Lödige

Head of Research #FORTSCHRITT

Marcus Lödige (geb. Dodt) ist Head of Research bei der Think-Tank-Beratungsgesellschaft #FORTSCHRITT. Er ist Experte im Bereich Higher Education, Corporate Development, Market Research und New Work. Er ist zertifizierter Scrum Master und promoviert an der Deutschen Sporthochschule Köln am Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik.

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